Was tun mit den Dingen deines Verstorbenen?

Wenn jemand aus deiner Familie gestorben ist, wirst du dir Gedanken darüber machen, was du mit dessen Dingen machst. In deinem Fall mag das bedeuten, dass du das Zimmer deines Verstorbenen ausräumst – vielleicht ist es auch eine Wohnung – oder ein ganzes Haus?

Warum es uns so schwerfällt, Dinge von unseren Verstorbenen wegzugeben

Gegenstände sind nicht nur Gegenstände. Dinge sind nicht nur Dinge.

Wie Eichendorff dichtete:

"Schläft ein Lied in allen Dingen" ...

Ja, es schläft tatsächlich ein Lied in allen Dingen – in Form von Erinnerungen, den schönen wie den schmerzhaften. Dinge sind nicht nur Dinge – sie sind beseelt von der Energie dessen, der sie besessen hat und den Erinnerungen, die mit diesem Gegenstand verbunden werden.

Die Gegenstände eines Verstorbenen sind also für seine Hinterbliebenen oftmals hochemotional aufgeladen. Diese Emotionen bewegen uns, binden uns – das ist der erste Grund, warum es uns so schwer fällt, die Dinge unseres Verstorbenen wegzugeben.

Ein zweiter ist, dass wir wissen: Es kommt nichts mehr nach. Mit dem Tod unseres Angehörigen hat auch der Fluss seiner Dinge gestoppt. Es gab schon so manchen Künstler, dessen Werke nach seinem Tod plötzlich immens an Wertsteigerung erfuhren – denn: Sein Werk ist nun begrenzt. Es wird nichts mehr nachkommen. So haben jetzt auch die Dinge deines Verstorbenen für dich eine andere Bedeutung als zuvor, sind von unfassbarem persönlichen Wert: die Teekanne, die er immer benutzt hat, sein letztes Geschenk an dich.

Ein weiterer Grund  kann sein, dass wir am Anfang unserer Trauer meist sehr materiell trauern: Der Körper (=Materie) deines Angehörigen ist weg und wir suchen ihn in seinen Dingen: Seinem Pulli, der nach ihm riecht, seiner Tasse, aus der er immer getrunken hat, seiner Brille, seiner Uhr. Und da wir unseren Verstorbenen in seinen Dingen suchen, haben wir vielleicht das Gefühl: Mit jedem Ding, das ich weggebe, gebe ich einen Teil meines Verstorbenen weg – und verliere ihn so noch mehr.

Das Gute ist: Normalerweise wandelt sich Trauer von der materiellen Ebene weg und hin zu einer immaterielleren Ebene – dazu später mehr.

Was dich erwartet

Es tut stellenweise einfach unglaublich weh, sich mit den Dingen seines verstorbenen Angehörigen zu beschäftigen. Gleichzeitig kann dies auch ein unglaublich wertvoller und notwendiger Baustein der eigenen Trauerverarbeitung sein.

Denn all diese Dinge repräsentieren das Leben deines Verstorbenen – und auch eure gemeinsamen Geschichte. Jedes Ding, das du hier siehst oder in die Hand nimmst, holt nochmal eine besondere Erinnerung hervor. Du kannst sie fühlen, betrauern – und dann loslassen, wenn du soweit bist. Du lässt also nicht nur materielle Dinge los – auch innerer Ballast, der an all das gekoppelt war, darf sich Stück für Stück lösen. So kann, ganz behutsam, deine eigene Lebensenergie wieder anfangen, zu fließen.

Neben den Erinnerungen kann es auch sein, dass du neue Erkenntnisse über deinen Verstorbenen gewinnst. Vielleicht taucht ein altes Tagebuch auf oder unbekannte Briefe und Fotos, die deinen Blick auf deinen Verstorbenen verändern und erweitern?

Und so ist die mögliche Bandbreite der Gefühle, die dich erwarten, sehr, sehr groß. Von Schmerz, Trauer, Wut, Schuldgefühlen über Dankbarkeit und Liebe – all das und noch viel mehr wirst du vielleicht fühlen – und es wird sich manchmal minütlich abwechseln, wie das Wetter im April.

Ein wertvoller Prozess? Ja, unbedingt!

Ein herausfordernder? Sehr …

Wie du vorgehen kannst

Ganz wichtig: Gehe behutsam vor und nimm dir Zeit! Und gleichzeitig: Gehe mutig und beherzt voran!

Ein Widerspruch?

Nur auf den ersten Blick. Denn Dinge sind nicht gleich Dinge.

Bei den für dich wertvollen Dingen: Nimm dir Zeit. Und bei allen anderen: Schreite in großen Schritten voran!

Wie du kannst du das umsetzen?

Es ist ein ganz besonderer, ganz besonders berührender Moment, wenn du das erste Mal nach dem Versterben deines Angehörigen dessen Wohnraum betrittst.

Ich bin damals, das erste Mal nach dem Tod meiner Eltern, alleine zu ihrem Haus gefahren. Vielleicht willst du aber gerne jemanden, dem du vertraust, mit dabei haben? Etwa, weil dein Angehöriger unter tragischen Umständen oder sehr plötzlich gestorben ist – oder ganz einfach, weil du an diesem Tag Unterstützung brauchst. Geh da nach deinem Gefühl.

Fahre nicht mit der Absicht hin, schon irgendetwas regeln oder ausräumen zu müssen.

Sei einfach da.

 

Gibt es einen Platz, an dem du dich wohl- und deinem Verstorbenen nahefühlst? Verweile dort, lass deinen Blick umherschweifen, atme den Geruch ein. Es gibt nichts zu tun, nichts zu müssen. Wahrscheinlich tauchen nun Erinnerungen auf oder du hast das Gefühl, als wäre dein Verstorbener da – lass es einfach geschehen. Es gibt kein Richtig oder Falsch.

Ich glaube, wir überspringen diesen so wertvollen Moment oft aus Angst. Ich stelle mir gerade so eine patente Gruppe von Frauen vor, die mit Wischmobs, Sandwiches, zu lautem Lachen und Tatendrang die Wohnung stürmen (jaja, sorry – ich weiß: Gendertechnisch gesehen kein zeitgemäßes Bild mehrJ). Ja, wir Menschen sind so: Schon seit vielen Jahrhunderten verbreiten wir Lärm und ausgelassenes Treiben, um böse Geister zu vertreiben. Das ist prinzipiell nicht verkehrt – alles zu seiner Zeit.

Nur: Nicht jetzt!

Nicht heute.

Dieser Moment gehört dir. Dir und diesem Raum und deinem Verstorbenen. Eurer gemeinsamen Geschichte.

Zerstöre diesen wertvollen Moment nicht mit Hektik, lauten Gesprächen oder Betriebsamkeit.

Oberstes Gebot: Fairness!

Sobald du mit anderen zusammen erbst, betretet ihr ein extrem sensibles Terrain. Ich glaube, dass jeder von uns jemanden kennt, dessen Familie durch Erbstreitigkeiten nachhaltig zerrüttet wurde. So traurig L

Ich bin sehr dankbar, dass meine drei Geschwister und ich es so gut durch diese Zeit der Nachlassabwicklung geschafft haben, denn unser oberstes Gebot war: Wir lösen es fair. Wir finden eine Lösung, auch wenn sie sich nicht gleich zeigt. Eine Lösung, die für alle passt.

Wir Geschwister haben uns damals dazu im Haus meiner Eltern getroffen und sind gemeinsam jeden Raum abgegangen. Jeder von uns hatte Post-Its in seiner eigenen Farbe, die er auf die Gegenstände geklebt hat, die er übernehmen wollte. Das hat wunderbar geklappt.

Falls es dazu kommen sollte, dass mehrere Erben den gleichen Gegenstand haben wollen, würde ich raten, das nicht vor Ort zu diskutieren, sondern es erstmal so stehen zu lassen und darüber zu schlafen. Erinnere dich: Es ist für alle Beteiligten eine emotionale Sache, denn es geht nicht nur um Dinge. Und aus der Emotion heraus zu diskutieren, führt eigentlich nie zu einem friedlichen Ergebnis, sondern produziert nur noch mehr Streit und Wut.

Deine Entscheidungskriterien

Wie triffst du denn nun die Entscheidung, was du behalten willst?

Du kannst zum einen rational vorgehen und dich fragen: Ist es mein Geschmack? Brauche ich es (im Alltag)? Werde ich es evtl. einmal brauchen (z.B. wichtige bürokratische Unterlagen)?

Vielleicht kennst du die japanische Aufräumexpertin Marie Kondo? Sie rät ihren Kunden immer, den Gegenstand (nach Möglichkeit) in die Hände zu nehmen und sich zu fragen: „does it spark joy“?

Du kannst dich also fragen: macht der Gegenstand mir Freude? Liebe ich ihn? Tut er mir gut?

Beantworten kannst du diese Fragen nicht mit dem Verstand – du wirst sie erfühlen.

Sei hier nicht zu streng mit dir. Es mag manche Dinge geben, bei denen die Antwort (noch) nicht klar ist oder von denen du dich jetzt einfach noch nicht trennen kannst. Das ist vollkommen in Ordnung. Manches bewahren wir auf Zeit auf – und je mehr wir in der Trauerzeit von der materiellen auf die immaterielle Ebene kommen, umso mehr lassen wir auch das Materielle unseres Verstorbenen los.

Dieses Einfühlen braucht Zeit. Nimm sie dir.

So. Du hast nun also entschieden, was du behalten willst.

Was machst du mit den anderen Sachen?

Das Ausräumen der Gegenstände deines Angehörigen stellt oftmals nicht nur emotional, sondern auch zeitlich wie logistisch einen riesen Kraftakt dar.

Deswegen: Verliere dich nicht in Details, gehe beherzt voran und hole dir kräftig Unterstützung!

Du kannst Familie und Freunde fragen – oder dich an professionelle Anbieter wenden, wie z.B. Sozialkaufhäuser, die manchmal sogar „umsonst“ arbeiten, indem sie den Wert der Gegenstände mit dem Wert ihrer geleisteten Arbeit verrechnen.

Entsorgen

Das Leichteste zuerst: Sortiere aus, was kaputt, negativ besetzt oder gesundheitsschädigend ist (zerkratzte Teflonpfannen, fleckige Matratzen, Nazibücher vom Uropa). Ab in die Restmülltonne oder zum Wertstoffhof damit!

Verkaufen oder Verschenken?

Als nächstes entscheidest du dann also: was wird verschenkt, was verkauft?

Verkaufen

Meine damaligen Anfragen bei Auktionshäusern und Antiquitätenhändlern desillusionierten mich. Niemand mochte anscheinend die alten Teppiche meiner Eltern oder die schweren Eichenmöbel (wir ja auch nichtJ) – die Stile und Vorlieben hätten sich eben geändert. Hoch im Kurs sind anscheinend nach wie vor Edelmetalle (Münzen, Schmuck, Kunst usw. aus Gold, Silber, Platin), hochwertige Edelsteine sowie Diamanten. Ansonsten könnte sich ein Verkauf (ebenso ein Behalten als Kapitalanlage) lohnen bei Designobjekten (Handtaschen, Designmöbel usw.), Markenuhren, Bildern bekannter Künstler usw.

Auf Plattformen wie Ebay Kleinanzeigen oder nebenan.de kannst du natürlich versuchen, Möbel o.ä. gegen einen wahrscheinlich vergleichsweise geringen Wert zu verkaufen.

Aus eigener Erfahrung kann ich noch berichten, dass sich der Verkauf von Büchern (gemessen an meiner investierten Arbeitszeit) nicht rentiert. Wir haben sie einem Verein gespendet, der sie dann auf einem Bücherbazar veräußert hat – der Erlös floss in soziale Projekte.

Apropos Spenden … und verschenken …

Verschenken

Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn man anderen eine Freude machen kann. Und so würde ich immer sagen: Alles das, was du nicht selbst brauchst und behalten möchtest – sei es aus finanzieller Hinsicht oder weil es dir persönlich am Herzen liegt: Verschenke es.

Gibt es eine junge Familie, die Möbel gebrauchen kann, Flüchtlinge, die bislang gar keinen Hausstand haben? Vielleicht wendest du dich an auch karitative Organisationen oder veranstaltest einen Hausflohmarkt? Mache dein Anliegen, die Dinge zu verschenken, in deinem Freundes- und Bekanntenkreis oder auf social media publik. Jeder kennt immer irgendjemanden, der etwas braucht!

Ein großes weiteres Plus des Verschenkens ist auch, dass hier meist der Zeitaufwand deutlich geringer ist als die aufwendige Suche nach einem Käufer. Da das Ausräumen der Dinge eben sowieso schon einen großen Kraftakt bedeutet, finde ich das einen bedeutenden Vorteil. Egal, ob du verschenkst oder verkaufst: Es ist ein wunderschönes Gefühl, dass Dinge, die deinem Verstorbenen lieb und teuer waren, nun zu einem anderen gehen, der sie wertschätzt. Sie bekommen so ein neues Leben 🙂

Was das Ausräumen mit mir gemacht hat

Das Ausräumen der Dinge meiner Eltern hat mir sehr geholfen in meiner Trauerverarbeitung. Darüber hinaus habe ich wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie ich wirklich leben will. Ich will leicht leben. Ich möchte allen überflüssigen Ballast entsorgen. Und das in allen Lebensbereichen: in meinem Wohnraum, in meinen menschlichen Beziehungen, in meinem Beruf – in allem.

Ich will die Dinge im Fluss halten und all das, was ich nicht mehr brauche, weitergeben an andere. So werden die Dinge, die bei mir nicht mehr mit Leben erfüllt sind, weil sie ausgedient haben, anderen dienen können.

Diese Dinge möchte ich möglichst mit „warmen Händen“ geben. D.h., ich möchte zu meinen Lebzeiten die Dinge weitergeben – das hat eine ganz andere Qualität und Energie, als sie von einem Verstorbenen zu übernehmen.

Wenn ich einmal diese Erde verlasse, will ich, dass meine Erben es möglichst leicht haben. Das bedeutet: Ich regle meine Angelegenheiten zu meinen Lebzeiten, soweit es geht.

Wenn dir diese Arbeit noch bevorsteht oder du schon mitten drin steckst, wünsche ich dir viel Kraft und gutes Gelingen!

Ich unterstütze dich gerne seelisch und in systemischer Hinsicht dabei.

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