Symbolsprache. Die Sprache Sterbender verstehen

Einige Tage vor seinem Tod drückten Metastasen auf bestimmte Zentren im Gehirn meines Vaters. Er schien zunehmend verwirrt, seine Sprache wurde undeutlicher. Einmal, da war ich mit meinem Mann Fritz bei ihm im Krankenhaus, schien mein Vater ein dringendes Anliegen zu haben. Er fragte: „Sind wir Weihnachten alle zusammen? Bei wem sind wir zum Essen? Wer bezahlt das alles?“. Ich war irgendwie so neben der Spur, dass ich das wörtlich nahm und schon ansetzten wollte, ihm klarzumachen, dass er natürlich nirgendswo hingehen würde, dass ein gemeinsames Essen außerhalb des Krankhauses natürlich nicht stattfinden würde usw., als ich Fritz sagen hörte: „Ja, Heiko, wir sind Weihnachten alle zusammen. Wir kümmern uns um alles. Du musst dir keine weiteren Gedanken machen.“ „Ah, dann ist´s ja gut“, seufzte mein Vater tief. Mir wurde klar: Es ging nicht darum, ihn in die „Realität“ zurückzuholen, sondern auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, ihm in seiner Realität zu begegnen.

Auf der Metaebene

Viele Sterbende sind bis zu ihrem Tod bei klarem Bewusstsein, eine Kommunikation, wie wir sie kennen, ist mit ihnen somit prinzipiell bis zum Ende möglich (wie du mit solch einem Sterbenden über sein Sterben sprechen kannst, kannst du hier nachlesen).

Manch andere Sterbende, wie damals mein Vater, befinden sich vor ihrem Tod auf einer Art Zwischenebene. Ich nehme es so wahr, dass diese Ebene eine Art Verbindung ist zwischen dem Jenseits und dem Diesseits. So können diese Sterbenden switchen und befinden sich manchmal näher am Tod, wo einige schon Lichtphänomene, bereits verstorbene Angehörige oder Freunde usw. wahrnehmen können – und manchmal befinden sich diese Sterbenden wieder näher an unserer Realität, was wir dann als klare Momente bei ihnen wahrnehmen.

Diese Zwischenebene ist eine ganz eigene Welt – mit einer mitunter ganz eigener Sprache: der Symbolsprache.

Die Symbolsprache Sterbender verstehen

Warum manche Sterbende symbolhaft sprechen, konnte wissenschaftlich bislang nicht geklärt werden, da eine Befragung Sterbender, die sich auf dieser Zwischenebene befinden, eigentlich kaum noch möglich ist. Daher wurde in früheren Zeiten davon ausgegangen, dass diese Sprache ein bloßes Indiz für die geistige Verwirrung dieser Sterbenden sei.

Heute ist die Meinung darüber nicht mehr so einhellig. Manche – und ich zähle mich dazu – nehmen an, dass es nicht unbedingt so ist, dass diese Menschen verwirrt sind – sondern dass sie sich auf einer anderen Ebene befinden, zu der wir vielmehr schlichtweg keinen Zugang haben. Ich nehme diese Ebene nicht nur als spirituell-geistige Ebene wahr, sondern vermute, dass hier ein ganz anderer Zugang zum Unterbewusstsein möglich sein könnte.

Das Unterbewusstsein – das kennt ihr vielleicht, wenn ihr meditiert – arbeitet nicht so straight wie unser Wachbewusstsein, unser Verstand. Es lebt vielmehr mäandernd, wie ein natürlicher Fluss, zeigt sich über märchenhafte, archaische Bilder und übersetzt das Unaussprechliche oftmals in: Symbole.

Übrigens ähneln sich anscheinend die Symbole, die Sterbende benutzen, stark und das unabhängig von Bildungsstand, sozialem Status oder Art der Erkrankung. Ich konnte nichts darüber finden, ob sich diese Symbole auch kultur- und länderübergreifend gleichen. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich also wahrscheinlich zumindest für unseren Kulturkreis um Ursymbole handelt, die jeder in seiner Tiefe kennt und versteht.

Es ist nicht nur bemerkenswert, wie sich Sterbende von dieser Ebene aus mitteilen – sondern auch, warum sie es tun. Denn wenn sie in Metaphern und Symbolen sprechen, sprechen sie quasi nicht direkt über etwas. Und indem wir nicht direkt über etwas sprechen, schaffen wir eine gewisse Distanz zu den Dingen, über die wir sprechen.

Die Zeit des Sterbens ermöglicht oft eine Verarbeitung in Zeitraffer. Einerseits stellt das eine riesen Chance dar. Andererseits kann es sein, dass in diesem Prozess alte, unverarbeitete und traumatische Erinnerungen aufploppen, die extrem schmerzhaft sind. Zu schmerzhaft, um direkt darüber sprechen zu können. Genauso kann es als zu belastend empfunden werden, über den eigenen Tod und das eigene Sterben direkt zu sprechen.

Mit dieser Symbolsprache wird es plötzlich möglich über das eigentlich Unaussprechliche zu sprechen – weil nun eben – zu sich selbst aber auch zu den Angehörigen – eine sichere Distanz geschaffen wurde.

Häufige Motive in der Sprache Sterbender

Zu den häufigsten Motiven in der Symbolsprache Sterbender zählen diese:

  • Reisen: Sterbender verlangt nach seinen Wanderschuhen, will den Koffer packen, Urlaubsfotos anssehen usw.
  • Haus: Äquivalent zum eigenen Körper (z.B. sprechen Menschen mit Knochenmetastasen, bei denen sich das Knochengerüst auflöst, manchmal davon, dass sie ihr Haus auflösen müssen).
  • Geld: Symbol für Energie & Macht. Ist essentiell für Menschen, die Armut, Not und Krieg erlebt haben.
  • Nach Hause kommen, Heimat finden: Entspricht dem Wunsch danach, sich geborgen zu fühlen in der neuen (Jenseits-)Welt.
  • Tür: Steht für etwas, hinter dem sich Neues, Geheimnisvolles versteckt.
  • Sich einsam fühlen: Man muss den letzten Weg alleine antreten. Es kann auch eine verstärkende Distanz zu Begleitern ausdrücken.
  • Ordnung, Aufräumen wollen: Entspricht einem Wunsch nach innerer Ordnung bzw. danach, Unerledigtes abzuschließen.
  • (Uhr-)Zeit: Die Lebenszeit nähert sich dem Ende.

Wie du deinem Sterbenden helfen kannst

Don´ts

Folgende Denk- und Verhaltensweisen schaden jeder Beziehung und jeder Kommunikation. Sterbende sind jedoch ganz besonders sensibel und der Schaden könnte hier noch ungleich höher sein.

Daher: Geh nicht in die Begegnung oder Kommunikation, wenn du davon überzeugt bist, dass deine eigene Realität die alleinig echte und einzig richtige ist und wenn dein Interesse an dem Sterbenden nicht echt ist.

Versuche nicht, dem Sterbenden dessen Sichtweise auszureden, ihn von der „richtigen“ Realität zu überzeugen oder ihn anzulügen.

Gehe zu keiner Sekunde davon aus, dass der Sterbende eh kaum noch etwas mitbekommt. Sterbende nehmen, selbst, wenn sie nicht mehr ansprechbar zu sein scheinen, oftmals vielmehr wahr, als wir denken. Sie verfügen über eine gesteigerte Wahrnehmung, so sind der Hörsinn und Sensorik oft extrem verfeinert. Durch die Einschränkung ihrer Motorik und oftmals auch ihres Ausdrucks, sind sie uns, unserem Sprechen und Tun, quasi ausgeliefert.

Gebe nicht vor, zuzuhören, obwohl du es nicht tust (Aha, ja, hmm, gut….) und vermeide leeres, seelenloses Wiederspiegeln und Wiederholen von dem, was gesagt wurde.

Wie also sprechen?

Eine respektvolle Haltung

Sei Ehrlich! Sei wahrhaftig!

Erinnere dich: Sterbende nehmen extrem fein wahr, sind oft hellfühlend und können sich durch Unehrlichkeit zutiefst verletzt fühlen. Dann ziehen sie sich oftmals in eine innerste Einsamkeit zurück.

Essentiell ist es hier, dass du eine wertschätzende Haltung einnimmst. Dass du dich dem Sterbenden respektvoll näherst und seine Welt, so andersartig sie sein mag, als genauso gleichwertig und genauso richtig wie die deine anerkennst.

Versuche, dich leer zu machen von deinen eigenen Erfahrungen und Vorstellungen (wie etwas „richtig“ geht oder zu sein hat) und lausche.

Einfühlendes Zuhören

Diese grundsätzlich wertschätzende Haltung in der Kommunikation vertrat auch Stephen Covey. Sein Konzept des einfühlenden Zuhörens betont, wie unerlässlich es für echte Kommunikation ist, dass wir uns wirklich dafür interessieren, was der andere zu sagen hat – und es so annehmen können, ohne ihm unseren Stempel, unsere Erfahrungen, unsere Sichtweise aufzudrücken. Gerade die Sprache Sterbender will oft gar nicht verstandesmäßig verstanden und noch weniger bewertet werden. Sie will, dass wir uns einfühlen, mit allen Sinnen erspüren, was der andere fühlt, was ihn wirklich bewegt.

Covey rät bei dieser einfühlsamen Kommunikation dazu, dass du – nachdem du offen, vorurteilsfrei und konzentriert zugehört hast, versuchst, das, was du von deinem Gegenüber gehört hast, in deinen eigenen Worten zusammenzufassen. Dann fügst hinzu, was du gehört bzw. wahrgenommen hast, was der andere fühlt. Covey spricht davon, dass du so dem anderen „psychisch Luft verschaffst“ – Druck kann abfließen, oftmals spüren die Erzählenden eine große Erleichterung wenn ihnen auf diese Art wirklich zugehört wird.

Dir wird es auf diese Weise vielleicht möglich werden, dass du tiefere Einblicke in das wirkliche Seelenleben deines Sterbenden bekommst.

Bei allem Sich-aufrichtig-Bemühen dürfen wir uns gleichzeitig klarmachen, dass wir in der Kommunikation mit Sterbenden nur den Rand dieser anderen Ebene betreten und dort kommunizieren können. Manchmal ist echtes Verstehen nicht mehr möglich.

Selbst, wenn wir alles „richtig“ (was immer das auch sein mag :-)) machen, kann es trotzdem passieren, dass Kommunikation nicht gelingt, dass wir etwas fehlinterpretieren oder der andere anders reagiert, als erwünscht.

Aber hey: Wir sind Menschen. Wir sind Lernende!

Niemand muss perfekt sein – niemand kann perfekt sein.

Mach dir also keinen Stress, sei stolz auf jeden Schritt, den du tust, auf jedes Mal, wo du dich ein klein wenig was traust!

Da sein, den Raum halten und aushalten

Im Zweifelsfall, wenn du sehr unsicher bist, ob oder was du sagen kannst, sage nichts.

Bei Unsicherheit neigen wir westlichen Menschen oft dazu, den unerträglich stillen Raum mit Geplapper und Geschäftigkeit zu füllen. Wir wollen uns so selbst beruhigen, wollen etwas Sinnvolles tun – nur ist es das oft nicht. Der Sterbende könnte sich verletzt oder übergangen und so in seinem wichtigen Sterbeprozess gestört fühlen. Der Sterberaum ist ein heiliger Raum.  Das bedeutet nicht, dass ihr nicht laut lachen dürft oder es auch mal lebhafter zugehen darf – aber halt immer so, wie es passt.

Vielleicht magst du dich ans Bett deines Sterbenden setzen und seine Hand nehmen? Tu dies nur, wenn du das möchtest (sei aufrichtig!) und wenn der Sterbende das auch will. Falls er sich nicht mehr verbal mitteilen kann, kannst du auf Zeichen wie Erstarrung, Hand wegziehen, beschleunigte Atmung usw. achten.

Spüre bewusst den Boden, den Stuhl unter dir und atme ruhig und tief in deinen Körper.

Versuche, soweit es für dich möglich ist, auszuhalten, dass du nichts tun oder sagen kannst, um das Sterben abzuwenden. Dass du das auch gar nicht tun musst.

Mache es dir leichter, indem du tief in dir zulässt zu sagen: Ich nehme diese Situation jetzt so an, wie sie ist – ohne zu bewerten, wie sie ist.

Wenn du es nicht mehr aushältst oder eine Pause brauchst, geh ein wenig vor die Tür.

Bewege dich, trink genug. Du kannst dir auch Pausen im Zimmer des Sterbenden nehmen, indem du am Bett sitzt und ein Buch liest, etwas meditierst usw.

Einen nahen Angehörigen oder Freund beim Sterben zu begleiten, ist eine große Herausforderung. Wenn es zur Überforderung wird oder du einfach Unterstützung auf deinem Weg brauchst, melde dich. Ich unterstütze dich gerne.

Quellen

Specht-Tomann, M./ Tropper, D. (2010). Zeit des Abschieds: Sterbe- und Trauerbegleitung (7. Auflage). Patmos Verlag.

Kränzle, S./ Schmid, U./ Seeger, C. (2010): Palliative Care (3. Auflage). Springer Medizin Verlag.

Zum Thema einfühlsames Zuhören: Covey, S. (2018). Die sieben Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönliche und beruflichen Erfolg (56., überarb. Auflage). GABAL Verlag.

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