Verdrängung

Es ist Frühling und einfach ein wunderschöner Tag. Ich strecke meine Beine unterm Küchentisch meiner Eltern durch und schaue meiner Mutter beim Kochen zu, während wir uns unterhalten. Wie sie so da steht, mit dem Kochlöffel in der Hand, halb dem Herd zugewandt, halb mir, denke ich mir, dass ihr Bauch irgendwie komisch aussieht, irgendwie unförmig – ich habe den Gedanken noch gar nicht zu Ende gedacht, als sich etwas, wie ein großer Riegel davor schiebt. Ich vergesse – verdränge – augenblicklich, was ich gedacht habe bzw. weiter denken wollte. Ich verbringe einen schönen Tag bei meinen Eltern und fahre später gut gelaunt zu mir nach Hause.

Kurze Zeit später wird meine Mutter erfahren, dass sie Eierstockkrebs hat. Der Tumor, groß wie ein Kinderkopf – und das Wasser im Bauch, produziert von Metastasen, lassen sie wie eine Schwangere aussehen. Nur der restliche Körper wirkt seltsam ausgezehrt und will nicht dazu passen.

Jetzt sehe ich sie wirklich, sehe, wie sie wirklich aussieht. Ich weiß auch den Gedanken wieder, den ich damals nicht fertig dachte: „Sie sieht aus wie meine Schwiegermutter als sie (im fortgeschrittenen Stadium) an Krebs erkrankt war.“ Es rattert in meinem Hirn und plötzlich macht die jüngere  Vergangenheit einen (anderen) Sinn: war sie deswegen so oft in letzter Zeit beim Heilpraktiker? Deswegen war sie also bei unserem letzten Ausflug so kurzatmig… ich bin so schockiert, dass ich das nicht gesehen habe. Warum haben es meine Geschwister nicht bemerkt oder mein Vater, der sie jeden Tag sieht?

Was nicht sein darf, kann nicht sein

Was war passiert? Wir hatten kollektiv verdrängt.
Sehr viele Menschen tendieren dazu, bei Dingen, die sie als zu unangenehm oder schlimm empfinden, zu sagen: „Das kann nicht sein“ und es damit in ein dunkles Eck zu verbannen.

 

 

Selbstschutz der Seele

Dinge, die wir als zu schlimm erachten, zu verdrängen, macht kurzfristig sogar Sinn. Unsere Seele versucht uns so zu schützen: wir können weiter funktionieren und (über-)leben.

Stell dir vor, wie ein Soldat im Kampfgemetzel erlebt, wie sein bester Freund qualvoll stirbt. Er wird  traumatisiert und im Moment der Traumatisierung wird ein Teil von ihm abgespalten und verdrängt. Er wird sich schwerlich hinsetzen und in Ruhe diesen verletzten Teil in sich anschauen und bearbeiten können. Nein, er muss funktionieren, um diesen Moment überleben zu können.

Wenn du deinen schwerkranken Angehörigen begleitest, befindest du dich zwar nicht im Krieg, aber du wirst mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Momente erleben, die sehr schmerzvoll sind für dich, in denen deine Seele versuchen wird, dich zu schützen – zu verdrängen. Manchmal entscheidest du dich sogar bewusst dazu, Dinge, die für dich schmerzhaft sind, zu verdrängen – damit du für deinen Angehörigen funktionieren kannst.

In den Schatten

Wenn die Seele verdrängt, spaltet sie den verdrängten Teil vom Bewusstsein ab und verfrachtet ihn in die dunklen Tiefen des Unbewussten. Die Seele ist nicht gern getrennt von ihren abgespalteten Teilen. Wie eine Mutter strebt sie, sobald es wieder möglich ist, danach, ihre Kinder wieder zu sich zurück zu holen. Auch die verdrängten Seelenanteile fühlen sich im Schattenreich nicht wohl. Sie gären, machen Randale, schicken auf allen Ebenen (körperlich, psychisch) immer stärker werdende Notsignale, dass sie nach Hause wollen.

Bei uns Menschen kommt das dann als verschiedenste Symptome rüber, die sich zu Krankheiten auswachsen können, die ihrerseits wieder für Schmerzen und Ängste sorgen können. Und was tun viele von uns in diesem Fall?

Sie wollen einfach, dass es aufhört, versuchen, oft durch Ablenkung oder Medikamente, Symptome zu unterdrücken – zu verdrängen. Ist das nicht ziemlich dumm von uns? Nein, ist es nicht.

Wir haben es uns so abgeschaut von den Generationen vor uns, und die hatten wiederum von ihren Vorfahren gelernt. Niemand hatte ihnen gezeigt, wie das geht – wie man mit Gefühlen arbeitet und sein Innerstes heilt. Ganz im Gegenteil: es galt – und gilt für manche noch heute – als schwächlich, sich seinen Gefühlen zuzuwenden. Wichtig war, was du darstellst, dass du in der Gesellschaft funktionierst – nicht, was du fühlst.

Heilung der Gefühle

Nur über die Heilung unserer Gefühle, unserer verdrängten Anteile wird aber dauerhaft ein glückliches und gesundes Leben möglich sein.
Um die verdrängten Anteile zu heilen, müssen wir sozusagen umgekehrt vorgehen:

  • Verdrängte Anteile sind unbewusst. Wir machen sie wieder bewusst!
  • Diese Anteile sind abgespalten worden. Wir re-integrieren sie wieder!

Ok – und wie funktioniert das dann in der Praxis?

Emotionalkörpertherapie

Ich liebe diese „Übung“, da ich sie, da sie sehr wirkungsvoll ist, schnell geht und ich dazu nur mich selbst brauche. Ich orientiere mich dabei stark an der Emotionalkörpertherapie von Dr. Susanne Lübke und Anne Söller.

LOS GEHT’S
1. Setze oder lege dich bequem hin.
2. Atme so lange tief ein und aus, bis dein Atem locker fließt.
3. Wenn du möchtest, verbinde dich mit einer höheren Kraft (hier kannst du dir z.B. Gott oder die Urquelle allen Seins vorstellen) und bitte um Unterstützung. Entweder hast du schon ein Gefühl oder Thema mitgebracht, dass du gerne anschauen möchtest, dann nimmst du dieses Thema/Gefühl. Oder du spürst in deinen Körper hinein: tut dir irgendwo etwas weh? Meldet sich ein bestimmtes Gefühl?
4. Kommuniziere nun mit diesem Gefühl/ Thema, z.B. Wut.

  • Meine Wut, ich sehe dich.
  • Meine Wut, danke, dass du da bist.
  • Meine Wut, was brauchst du – was kann ich für dich tun?
  • (Optional: Meine Wut, was willst du mir zeigen?)
  • Meine Wut, ich liebe dich und ich nehme dich an. Du darfst zurückkommen zu mir.

Es kann sein, dass vor deinem inneren Auge da ein Gefühl als ziemlich gruslige Gestalt daher kommt oder du kurzzeitig andere Schmerzen wahrnimmst. Lass dich nicht verunsichern, bleibe dran. Heilung geschieht.

Mache diese Übung, so oft du willst, bis du dich wohlfühlst. Oftmals sind bestimmte Gefühle so stark verdrängt, dass wir mehrfach mit ihnen arbeiten müssen. Gerade wir Angehörigen von schwerkranken und sterbenden Menschen tendieren dazu, unsere Gefühle hinunter zu drücken, zu verdrängen, uns nicht für wichtig zu nehmen. Dabei sind und werden wir oft extrem stark belastet und dürfen – müssen! uns um unsere Gefühle und unser Wohlergehen kümmern. Ich weiß, wie schwer das im Alltag umzusetzen ist. Aber nur, weil es schwer ist, heißt es nicht, dass du es nicht machen kannst!

Nimm dir immer wieder Zeit, um auf dich, deine Bedürfnisse und Gefühle zu schauen. Mach immer wieder diese kleine Übung.

Hol dir immer wieder Unterstützung in dieser so schweren Phase deines Lebens. Du musst da nicht alleine durch. Es gibt so viele wertvolle Menschen und Möglichkeiten, die dir weiterhelfen können. Geh auch hier stets an deinem Gefühl entlang – was fühlt sich stimmig an für dich? Wo fühlst du dich wohl?

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